Diskussionsbeiträge
der Projektgruppe Friedensforschung Konstanz, Nr. 53, 2004
Süddeutsche Zeitung
(SZ), 18.01.1991
Regierungserklärung
des Kanzlers zum Militäreinsatz am Golf
Kohl: Der Irak trägt die alleinige Verantwortung
Der Bundestag erklärt sich mit der Mehrheit der Koalitionsstimmen solidarisch
mit der Anti-Irak-Allianz
deu/dom,
Bonn (Eigener Bericht) Der Bundestag hat sich am Donnerstag in einer kurzfristig
angesetzten und teilweise tumultartigen Debatte bestürzt und betroffen
über den in der Nacht zuvor ausgebrochenen Golfkrieg gezeigt. 'Wir sind
zutiefst enttäuscht, daß die vielfältigen Bemühungen um
eine friedliche Lösung an der Weigerung der irakischen Regierung gescheitert
sind', sagte Bundeskanzler Helmut Kohl in einer Regierungserklärung. Der
Irak trage die alleinige Schuld daran, daß es jetzt zum Krieg gekommen
sei. Die Völkergemeinschaft habe dem Bruch des Völkerrechts nicht
tatenlos zusehen können. Sonst hätte dies 'unabsehbare Folgen' auch
in anderen Teilen der Welt.
In einer mit der Mehrheit
der Koalitionsabgeordneten von CDU, CSU und FDP angenommenen Entschließung
lastete der Bundestag dem Irak die volle und alleinige Verantwortung für
den Golfkrieg an. Zugleich wird darin die Solidarität der Bundesrepublik
mit den Partnern der Anti-Irak-Allianz bekundet. Die Bundesregierung wurde aufgefordert,
gemeinsam mit den Partnern und Verbündeten alles zu tun, damit der Krieg
möglichst bald beendet werde. Eine Entschließung der SPD zur Golfkrise
fand keine Mehrheit. Die Koalitionsfraktionen lehnten darin vor allem die Formulierungen
ab, nach denen die Diplomatie und die Sanktionen gegen den Irak keine ausreichende
Chance gehabt hätten. Eine Resolution von Bündnis 90/ Grüne,
in welcher der Angriff gegen den Irak verurteilt wird, wurde von der Mehrheit
von CDU/CSU, FDP und SPD abgelehnt. 15 SPD-Parlamentarier stimmten dafür.
Kohl versicherte, deutsche Soldaten würden im Golfkrieg nicht eingesetzt.
Die Bevölkerung rief er zur Besonnenheit auf. Für die Zeit nach dem
Krieg forderte der Kanzler einen 'umfassenden Entwicklungsplan für den
Nahen Osten' mit erhöhter wirtschaftlicher Hilfe auch aus Deutschland.
Zuvor müßten jedoch die politischen Voraussetzungen geschaffen werden.
Dazu gehöre, 'das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser mit dem
Recht auf Existenz und Sicherheit aller Staaten der Region, auch Israels, in
Einklang zu bringen'.
Oppositionsführer Hans-Jochen
Vogel kritisierte für die SPD, daß die UNO-Allianz dem Handelsboykott
gegen den Irak nicht genügend Zeit gelassen habe. Er verlangte, den Krieg
einzustellen und den Irak nochmals zu bitten, sofort mit dem Abzug der Truppen
aus Kuwait zu beginnen. Vogel äußerte Scham darüber, daß
deutsche Unternehmen dem Irak geholfen hätten, chemische Waffen zu entwickeln
und zu produzieren. 'Solche Exporteure des Todes müssen wir endlich so
behandeln, wie es ihrer Schuld entspricht, nämlich als Schwerverbrecher',
rief er unter dem Beifall des ganzen Hauses. Gemeinsam mit CDU und FDP forderte
Vogel die Einberufung einer internationalen Friedenskonferenz für den Nahen
Osten nach dem Vorbild der 'Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit
in Europa'. Unter starkem Beifall dankte Vogel Israel dafür, daß
es in diesen Tagen besonnen und friedensfördernd reagiert habe. Er betonte,
es gebe keine Anzeichen für eine Ausweitung des Krieges auf den NATO-Partner
Türkei und damit für den Bündnisfall. Vor der Bundestagsdebatte
hatte Vogel verbreiten lassen, die Politik am Golf habe versagt; er habe den
Kriegsbeginn 'mit sprachlosem Entsetzen' aufgenommen.
An die Vergangenheit des Nationalsozialismus
erinnerte in der Debatte FDP-Chef Otto Graf Lambsdorff: 'Wir dürfen gerade
als Deutsche nicht vergessen, wohin das Gewährenlassen eines Diktators
führt.' Menschenrechtsverletzungen dürften nie und nirgends geduldet
werden. Lambsdorff zeigte Verständnis für die Friedensdemonstranten
überall in Deutschland, warf ihnen jedoch vor, daß das Motto 'Kein
Blut für Öl' eine 'ungerechtfertigte Verkürzung' bedeute: 'Es
geht auch um Öl, aber es geht in allererster Linie um die Wahrung des Rechts.'
Der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Alfred Dregger hatte zuvor dem irakischen Diktator
Saddam Hussein die Alleinschuld am Ausbruch des Krieges zugewiesen. Dieser müsse
'begreifen, daß er Tod und Zerstörung vermeiden könnte, wenn
er nachgeben würde'. Dies sei kein Krieg der USA
gegen den Irak, sondern der Weltgemeinschaft gegen einen Aggressor. Wer dies
verwische, bastele an einer 'Dolchstoßlegende, die allein dem Aggressor,
nicht aber dem Frieden dient'.
Mit lautstarken Protesten
reagierte die CDU/CSU, als PDS-Chef Gregor Gysi dem Bundeskanzler 'Heuchelei
oder völliges Unverständnis dessen, was da losgegangen ist', vorwarf.
Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth erteilte Gysi, der mit einer
weißen Armbinde ans Pult trat, für diese Wertung einen Ordnungsruf.
Gysi betonte, es gebe heutzutage 'keine gerechten Kriege mehr, sondern nur noch
verbrecherische'. Am Golf gehe es nicht um die Durchsetzung des Völkerrechts,
das seit Jahren mit Füßen getreten werde, sondern um 'nackte Machtpolitik',
für die die Bevölkerung in der ganzen Welt gefährdet werde. Mit
der Zustimmmung zum Krieg habe die Bundesregierung schwere Schuld auf sich geladen.
Gysi rief alle Bürger zur Kriegs- und Wehrdienstverweigerung auf. Die Bündnis
90/ Grünen-Abgeordnete Vera Wollenberger nannte den Golfkrieg ein 'Verbrechen
gegen die Menschlichkeit'. Über die ökologischen Folgen habe sich
niemand Gedanken gemacht. Sie forderte den Bundestag zum Schweigen und Nachdenken
auf. Bundestagspräsidentin Süßmuth versuchte daraufhin, die
Abgeordnete vom Rednerpult zu verweisen.
Vertreter der Friedensbewegung
forderten die Bevölkerung auf, am 26. Januar in Bonn an einer Großdemonstration
gegen den Krieg teilzunehmen. SPD, Grüne und der DGB unterstützen
die Veranstaltung.
back to documents
back to overview