Diskussionsbeiträge der Projektgruppe Friedensforschung Konstanz, Nr. 53, 2004

5 Social Identification and personal entanglement (Distance/ dehumanization vs. social identification)
D5 De-escalation-oriented pole: Cooperative social commitment
D5.1

Refrains from identification with escalation-oriented political or military leaders on all sides

    Example D5.1.1



Frankfurter Rundschau, 2.4.2001, S.3

Der Prozess

Am Ende war Slobodan Milosevics Großserbien auf ein ummauertes Villengrundstück im Belgrader Stadtteil Dedinje zusammenschrumpft. Der erst serbische, dann jugoslawische Präsident hatte im Gegensatz zu vielen seiner nationalistischen Anhänger an den großserbischen Traum nie wirklich geglaubt. Doch der rein machtpolitische Versuch, ihn zu verwirklichen, hat etwa eine Viertelmillion Menschen das Leben gekostet, und Millionen wurden deshalb vertrieben. Die Serben waren nur die letzten, die unter Milosevics Herrschaft gelitten haben. Ihr Leid ist heute beträchtlich, aber im Vergleich zu den Opfern der zuvor mit Kriegen überzogenen Nachbarn deutlich geringer. Mit dem Prozess gegen den korrupten Ex-Staatschef und mutmaßlichen Kriegsverbrecher Slobodan Milosevic beginnt nun für Jugoslawien die Aufarbeitung einer verlorenen Dekade. Die Anforderungen, die Jugoslawien auf der einen und das UN-Kriegsverbrecher-Tribunal auf der anderen Seite an dieses Verfahren stellen, sind dabei unterschiedlicher, ja teilweise widersprüchlicher Natur. Serbien muss seine Vergangenheit bewältigen, die Welt fordert Gerechtigkeit. In der Theorie geht das eine nicht ohne das andere. Aber die Wirklichkeit, selbst die juristische, ist da viel komplizierter. Und dennoch besteht nach den Äußerungen der Regierung Djindjic durchaus eine Chance, dass die Verurteilung von Slobodan Milosevic seinen Opfern so etwas wie Gerechtigkeit bringt und zugleich Serbien eine ehrliche Auseinandersetzung mit Vergangenheit und Schuld. Dies aber wird nur möglich sein, wenn alle Beteiligten in Belgrad, Den Haag, Brüssel und Washington im juristischen Umgang mit dem Angeklagten Slobodan Milosevic von ihren Maximalforderungen abweichen, Flexibilität zeigen und nicht länger mit Boykott drohen. Milosevic wird zunächst wegen Amtsmissbrauchs und Korruption vor ein Belgrader Gericht gestellt. Diese Anklagen sind wichtig, weil die serbische Öffentlichkeit nur so erfahren wird, in welchem Ausmaß die Familie Milosevic und deren kriminelle Kumpane im serbischen Mafiastaat die Gesetze gebrochen, die Bürger beraubt und der Gesellschaft geschadet haben. Jede demokratisch gewählte Regierung muss das Recht haben, einen ehemaligen Präsidenten für Verbrechen gegen den eigenen Staat vor Gericht zu stellen. Davor sollte sich auch kein UN-Tribunal drängen. Wenn die Regierung Djindjic trotz des Streits mit dem jugoslawischen Präsidenten Kostunica und trotz der Widerstände in der Armee gegen die Festnahme "Slobo" jetzt hinter Gitter gebracht hat, dann verdient sie dafür Anerkennung. Und sie verdient Hilfen, die an eine weitere konstruktive Zusammenarbeit mit UN-Chefanklägerin Carla Del Ponte gebunden sind. Aber auch die nicht-serbischen Opfer der jugoslawischen beziehungsweise serbischen Politik und die Welt in Gestalt der Vereinten Nationen haben ein Anrecht darauf, dass sich Milosevic für seine Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten muss. Viel steht hier auf dem Spiel: die Versöhnung an den Orten der Kriegsverbrechen und auch der weitere Fortschritt des Internationalen Völkerrechts. Ohne eine Verurteilung Milosevics und anderer Kriegsverbrecher für den Völkermord in Bosnien und Kosovo kann es dort kein friedliches Zusammenleben zwischen den im Krieg verfeindeten Bevölkerungsgruppen geben. Ohne einen Prozess in Den Haag gegen den Hauptschuldigen - aber keineswegs Alleinschuldigen - an vier Balkankriegen wäre das 1993 ad hoc eingesetzte Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien nur eine Episode im Völkerrecht - und keine Etappe auf dem mühsamen Weg von den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen zum ständigen Internationalen Kriminalgerichtshof. Letzterer ist zwar beschlossene Sache, aber angesichts der feindlichen Haltung der neuen US-Regierung noch lange nicht politisch etabliert. Das UN- Tribunal braucht also Slobodan Milosevic. Aber es braucht auch Zeit. Denn noch ist der jugoslawische Ex-Präsident offiziell nur für seine Verbrechen in Kosovo angeklagt. Noch fehlt es dem Tribunal in Den Haag an Beweismaterial, das die Befehlslinie vom Oberkommandierenden Milosevic direkt zu den Handlangern des Völkermordes in Bosnien und Kosovo aufzeigt und belegt. Die Beweislage stellt sich im Fall Milosevic noch nicht so schlüssig dar, wie sich dies ein Ankläger wünschen muss, der den Angeklagten zweifelsfrei überführen will. Hier ist das Tribunal auf eine enge Zusammenarbeit mit der Regierung in Belgrad angewiesen. Im Idealfall könnte ein Kompromiss wie folgt aussehen: Zunächst verantwortet sich Slobodan Milosevic vor einem serbischen Gericht wegen der Verbrechen gegen seinen Staat. Danach klagt ihn das UN-Tribunal nach seinen Regeln und vor seinen Richtern wegen Völkermord und der Verbrechen gegen die Menschlichkeit an, und zwar in Belgrad. Keine ferne, abstrakte und leicht zu ignorierende "Siegerjustiz" wäre dies, sondern ein "Schauprozess" im Sinne des internationalen Völkerrechts. Er könnte auch den skeptischen Serben beweisen, dass es nicht um Kollektivschuld, sondern allein um Gerechtigkeit geht.

Rolf Paasch

 

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