Diskussionsbeiträge
der Projektgruppe Friedensforschung Konstanz, Nr. 53, 2004
Tageszeitung, 14.10.2000
EU-Staaten sollten Visumzwang für Exjugoslawien aufheben
Willkommen
in Europa!
Kommentar
Begeistert
vom Sturz des Milosevic-Regimes bietet der Westen Jugoslawien Hilfe an. Die
UN will die seit über acht Jahren geltenden Sanktionen aufheben, die EU
über ihren stabilitätspakt Geld für Soforthilfeprojekte bereitstellen.
All das ist notwendig und richtig - nur dass sich keines dieser Angebote an
die Bürger richtet, deren Massenprotest den Wechsel in Belgrad erzwungen
hat.
Das
Ende der UN-Sanktionen wird vor allem die Importe nach Serbien und Montenegro
anregen. Das freut den jugoslawischen Staat, der über Zölle verdient.
Den Bürgern nutzt dies höchstens insofern, als die Warenvielfalt steigt.
An der katastrophalen sozialen Stiuation ändert die Abschaffung der Santionen
jedoch nichts; die Menschen werden weiter durchschnittlich 70 Mark im Monat
verdienen. Das Gleiche gilt für die Soforthilfeprogramme: Abgesehen von
ein paar tausend Arbeitsplätzen - in einem Land mit 60 bis 70 Prozent Arbeitslosigkeit
nicht viel - richtet sich auch dieses westliche Angebot vor allem an die politische
Klasse. Sicher, jene Teile des Establishments, die Milosevic ud Co. seit dem
5. Oktober die Gefolgschaft verweigern,müssen belohnt werden, um den Wechsel
zu stabilisieren. Dazu gehörten Polizien, Soldaten, Rundfunkredakteure.
Aber auch die attraktivsten Angebote an den Apparat ersetzen nicht die jugoslawischen
Menschen.
Seit
über acht Jahren gilt der Visumszwang - für Montenegriner und Serben,
für Bosnier, Kosovo-Albaner und Makedonier. Im Jugoslawien Titos hatten
sie ins Ausland reisen dürfen. Es war der freie Westen, der diese Freiheit
1992 aufhob: Nach dem Beginn des Bosnienkrieges fürchtete man sich vor
einer Massenflucht. Sie kam trotzdem, ließ sich durch den Visumzwang nicht
verhindern. Also sollte man ihn aufheben - denn er trifft bis heute die Falschen:
Pensionäre, die im Westen gearbeitet haben und ihre Renten dort abholen
müssen, junge Menschen, die einfach mal ein anderes Land besuchen wollen,
und natürlich Freunde und Verwandte der Millionen von Exjugoslawen die
im westlichen Ausland leben. Nach dem Umsturz in Belgrad ist jetzt der richtige
Zeitpunkt, um diesen Menschen ein ganz persönliches "Willkommen zurück
in Europa!" zu senden.
RÜDIGER ROSSIG
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